Um die Familie tobt ein Streit der Feuilletonisten. Die Erkenntnisse sind erstaunlich banal. Am Ende gilt: Ein Leben ohne Kinder ist leer.
Die Familie hat eine wechselhafte Geschichte. Sie war Überlebensgemeinschaft, Ort der patriarchalen Unterdrückung, heute scheint sie eine bedrohte Art zu sein. Denn immer weniger wollen, jedenfalls bei uns, eine gründen. Und deshalb kochen die Mahner ihre Buchstabensuppe, mit unterschiedlichen Absichten. Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgmeinen, beschwor in «Minimum» die Familie als Ort, wo man den Gemeinsinn lehrt und lernt, der Kommunikationspapst Norbert Bolz als Ort der stärkenden Liebe und jetzt die Literaturkritikerin Iris Radisch als «Gegenmodell zur Allgewalt der Ökonomie und der Beschleunigung» (siehe Artikel: Rettet die Familie). Sie alle haben ein Ziel: Das Abendland soll nicht untergehen oder von kinderreichen Ausländerfamilien, die noch die klassische Rollenteilung kennen, übernommen werden.
Auch die Schweizer Politik hat das gemerkt. Die Familienzulagen sind ein bisschen erhöht, viele Millionen für Tagesschulen und Krippen bereitgestellt, Steuererleichterungen für Familien in Aussicht gestellt worden. Das ist, leider, nur Symptombekämpfung. Keine Frau wird ein Kind bekommen, weil sie dafür zwischen 200 und 270 Franken pro Monat vom Staat bekommt. Und ob denn dereinst die vielen Fremdbetreuungsplätze auch alle gefüllt sein werden, weiss man nicht. Soll das eigene Kind seine Welterfahrungen fast ausschliesslich in dafür zuständigen Institutionen machen, soll man als Eltern also Erziehung wirklich delegieren? Das muss jeder für sich entscheiden. Die Fragezeichen aber mehren sich, wie Studien aus den skandinavischen Ländern zeigen, die die längste Erfahrung haben mit doppelverdienenden Eltern und fremdbetreuten Kindern. Es muss den Kindern nicht guttun, wenn die Eltern um sieben Uhr abends eintreffen, noch schnell ein Gute-Nacht-Liedchen trällern und um sieben Uhr dreissig Nachtruhe befehlen. Es muss übrigens auch den Eltern nicht guttun, was sich darin zeigt, dass viele am Wochenende mit Popcorn, Kino und Glace kompensieren wollen, was sie unter der Woche verpasst haben. «Wenn es wahr ist, dass Erziehung durch das geschieht, was gerade geschieht, und nicht durch das, was beabsichtigt ist, kann man davon sprechen, dass wir unsere Kinder im Doppelernährerhaushalt überhaupt nicht erziehen», lautet einer der schönsten Sätze im Buch von Iris Radisch.
Nein, das Problem geht sehr viel tiefer. Europa ist verwirrt. Die Gleichberechtigung, die heute mehr oder weniger vollbracht ist, schlägt zurück. Die Frauen wollen und haben ihren Platz in der Arbeitswelt. Das ist gut so, aber wir, Männer wie Frauen, kommen nicht damit zurecht – wenn wir ehrlich sind. Die Mütter brechen unter der Doppelbelastung fast zusammen. Und viele Väter reagieren, indem sie einfach keine mehr sind, also das Weite suchen. Frauen bleiben mit ihrem Nachwuchs zurück. Eine Einsamkeit, über die nicht viel geredet wird, auch nicht von den Betroffenen selbst, die das Stigma fürchten. Von den Folgen für die Kinder, der grössten Katastrophe überhaupt, ganz zu schweigen. Aber es ist die Wahrheit, auch wenn sie unbequem ist, eine Wahrheit, die viele Junge subkutan spüren, und deshalb verdrängen sie die Nachwuchsfrage lieber gleich. Es geht einfach nicht auf.
In vielen Schlachten erprobt
Dass die seltsamen Sätze der «Tagesschau»-Sprecherin Eva Herman auf eine solche mediale Resonanz trafen, war ja nur Ausdruck dieser Verwirrung, des Unglücks zwischen Mann und Frau. Wer verwirrt, wer unglücklich ist, sehnt sich zurück nach dem guten Alten, indem er es verklärt.
Natürlich kann man jetzt Lebensarbeitszeitmodelle wie in den Niederlanden oder in Skandinavien fordern, die es ermöglichen, dass Eltern sich wirklich dem Nachwuchs widmen können, ohne nachhaltige finanzielle Einbussen fürchten zu müssen. Das wäre schön, ist aber letztlich auch eine technokratische Antwort auf ein tiefer gehendes Problem.
Ja, wir machen uns sehr viel vor in dieser Debatte über die mangelnde Fertilität. Was nämlich im Grunde genommen zur Debatte steht, sind unsere Wertvorstellungen. Für viele der urbanen Milieus ist heute die Wahl des neuen Sofas, das richtige T-Shirt, das neuste Designhotel das Zentrum der Existenz. Die Frage aber, ob ein Leben ohne Kinder Sinn macht, die stellt man sich nicht. Die Unterstellung sei gewagt: Glücklicher wird nicht, wer diese Frage umschifft.
Familie ist nicht cool, sie ist Mühsal und Glück zugleich. Man muss sie auch nicht neu erfinden, sie ist einfach, ein tendenziell konservatives Erfolgsmodell, das sich in so vielen Schlachten erprobt hat, dass es gar nicht wirklich untergehen kann. Wir müssen uns aber endlich erinnern, was sie bedeutet. Familie birgt Werte wie Stabilität, Liebe, Treue, Leistung, Gehorsam, Disziplin. Es kann nicht sein, dass wir uns so schwertun, uns dazu zu bekennen.